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Kapitel V
Von dimitrikalaschnikov, 10.08.2007, 07:05

 

 

„I should have seen it coming when the roses dies. Should have seen the end of summer in your eyes. I should have listened, when you said good night, you really meant good bye.”

Jon Bon Jovi

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Die nächste Zeit verging rasend schnell. Ich hätte nicht sagen können, ob es nun Monate, Wochen oder nur Tage waren. Ich unternahm beinahe jeden Nachmittag irgendwas gemeinsam mit Kai und Lou. Unsere Treffen stellten sich zwar zuerst als ein bisschen kompliziert heraus, entwickelten sich dann allmählich aber ins Positive. Sie verliefen bald entspannt und äußerst angenehm.

Lou war am Anfang auffallend still und distanziert. Er lachte so gut wie nie. Jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Es kam zwar öfter mal ein stilles Lächeln über seine Lippen, das dann auch umso intensiver und freundlicher war, doch er lachte nicht.

Und er sprach auch nicht viel mit mir. Es war nicht so, dass er mir nicht antwortete oder abweisend war, nein, er redete nur einfach nicht von sich aus. Nie. Es schien fast so, als wollte er mich erst still kennenlernen. Manchmal erinnerte mich sein Verhalten sogar an das eines Raubtieres, das auf der Lauer liegt. Dann kam ich mir vor wie die Maus vor dem Kater.

Mit der Zeit machte mich Lous Schweigen fast wahnsinnig. Denn ich hatte in den wenigen Tagen, die ich ihn kannte, etwas gelernt, was mir vorher völlig fremd gewesen war. Ohne es zu merken hatte ich gelernt, zuzuhören.

Natürlich hatte ich auch vorher schon vielen Menschen zugehört, wenn sie mit mir sprachen. Doch bei Lou war es etwas anderes.

Das erste Mal in meinem Leben war ich ganz still geworden und hatte nur gelauscht. Auch wenn er sich gar nicht mit mir unterhalten, sondern mit einem anderen geredet hatte. Und das erste Mal in meinem Leben machte ich mir über das Warum der Worte Gedanken. Ich begann, über andere Menschen nachzudenken. Und das alles nur durch das Rätsel, das mir die Präsenz und die Harmonie in Lous Erscheinung und in seiner Stimme aufgab.

Doch Lou hielt sich zurück. Jedenfalls, wie gesagt, in meiner Gegenwart. Denn dann spielte er immer den distanzierten Beobachter, nichts weiter.

Nur wenn Lou mit Kai sprach, taute er schnell auf. Das merkte ich, wenn ich mich unter einem Vorwand entfernte und sie dann beobachtete. Mit ihm schien er sehr bald im Reinen zu sein. Mit ihm führte er oft sogar lange Gespräche, wobei Lou zwar auch größten Teils nur zuhörte, aber meist war er selbst der Initiator dieser Unterhaltungen. So, als würde er die Stichworte dazu geben.

Alles in allem hatte ich den Eindruck, dass Lou Kai aus einem für mich unerfindlichen Grund sofort an sich heran ließ. Anders als bei mir.

Manchmal machte mich diese Bevorzugung richtig eifersüchtig. Schließlich war Kai mein Freund, mein Schatten, der mir überallhin folgte.

Aber mit der Zeit legte sich das alles. Sowohl meine Eifersucht als auch Lous vorsichtige Zurückhaltung mir gegenüber, und immer öfter ertappte ich ihn dabei, wie er mich musterte. Manchmal nur wohlwollend, manchmal auch prüfend oder kritisch.

Ich fühlte mich einerseits davon geschmeichelt, andererseits aber auch verunsichert und irritiert. Ich wurde einfach nicht recht klug aus ihm.

 

Es war an einem heißen Nachmittag, ich glaube, es war ein Dienstag, als wir uns nach dem Unterricht das erste Mal zum Schwimmen trafen. Lou und ich machten uns gemeinsam auf den Weg zum Fluss. Unterwegs mussten wir ein Stück die Straße entlang gehen.

Ein kleiner Weg bog nach rechts ab, aber wir mussten weiter geradeaus. Lou ging ein paar Schritte vor mir her. Er war schon zu weit, um den Weg noch einsehen zu können. Hohe Büsche versperrten ihm die Sicht. So konnte er den Fahrradfahrer nicht bemerken, der mit einem irren Tempo den Berg herunter auf ihn zu gerast kam.

Aber ich bemerkte ihn. Ich sprang vor und zog Lou gerade noch rechtzeitig zurück. Der Radfahrer sauste, verfolgt von meinen wütenden Beschimpfungen, haarscharf an uns vorbei.

Lou strich sich die Haare zurück und ordnete seine Kleidung. „Alles in Ordnung?“ fragte ich ihn. Er nickte nur. „Danke,“ sagte er dann und trat einen Schritt von mir zurück. „Aber nicht an...“ „Nicht anfassen, ich weiß! Lou Tibeht, du spinnst!“ Kopfschüttelnd stapfte ich an ihm vorbei. Das hatte man nun davon! „Lou. Nur Lou.“ Er folgte mir.

Als wir am Fluss ankamen, war Kai noch nicht dort. Ich ging ans Wasser hinunter. Noch immer herrschte Stille zwischen uns. „Warum willst du nicht, dass man dich ‚Tibeht’ nennt? Gut, es ist ein etwas merkwürdiger Name, aber...“ „Nein, ist es nicht. Eigentlich ist es ein sehr schöner Name. Es war der Name meines Großvaters.“

Ich runzelte die Stirn. „Ach so. Das erklärt natürlich alles.“ „Was meinst du?“ „Naja, es ist natürlich völlig klar, dass man nicht so heißen möchte wie sein Großvater, obwohl man den Namen eigentlich schön findet. Völlig einleuchtend.“

Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, antwortete aber nicht. Ich fragte mich, ob er die Ironie in meinen Worten verstanden hatte. „Jetzt mal im Ernst,“ sagte ich deshalb. „Was ist daran so schlimm? War er so schrecklich?“ „Wenn du es unbedingt wissen willst: Mein Großvater, Tibeht Paolo, war ein großer Mann. Niemals hat unser Land einen gerechteren und weiseren Herrscher gesehen. Er hat Ljuba in einer sehr schwierigen Zeit Ruhe und Frieden gebracht. Und jetzt lass es gut sein.“

Ich erklärte Lou zum wiederholten Male für verrückt und entfernte mich vom Wasser. Er folgte mir, und ich hätte darauf schwören können, dass er in meinem Rücken mal wieder lächelte.

Ich schwitzte immer mehr, obwohl ich nur ein T-Shirt und Shorts trug. „Wollen wir schon mal ins Wasser gehen?“ Eine Abkühlung war genau das, was ich jetzt wirklich dringend brauchte.

Er breitete sein Handtuch aus und setzte sich in die Sonne. „Lass uns noch etwas warten.“ „Wieso? Schwitzt du nicht?“ Er trug wie immer seine lange Hose und sein Hemd, was alleine mir schon unbegreiflich war. Ich hätte das nicht ausgehalten.

„Nein.“ „Warum läufst du eigentlich bei dieser Hitze in den langen Klamotten rum? Das muss doch total unbequem sein. Ich glaube, ich würde vor Hitze wahnsinnig werden.“

Lou sah mich mit ausdrucksloser Miene an. „Es ist Vorschrift.“ Ich warf mein Handtuch neben ihn und ließ mich darauf fallen. „Von deiner Religion aus?“ „Von meinem Amt und von meiner Religion aus.“ „Ich würd‘ wahnsinnig werden,“ bekräftigte ich. Dann zog ich mir aufatmend das T-Shirt aus und legte mich hin. Ich gähnte. Die Hitze machte mich schläfrig.

„Ich dachte, das alles hier wäre für dich so eine Art Rebellion. Deswegen bist du doch hier, oder? Um das Leben kennen zu lernen,“ begann ich nach einer kurzen Zeit wieder. Dabei beobachtete ich Lou aus den Augenwinkeln heraus. Er starrte auf den Sand vor seinen Füßen. Dann stand er auf und drehte sich weg. Warum konnte er mich nicht ansehen?

„Nein. Es ist eine Abgrenzung.“ Er ging zum Wasser und warf einen Stein hinein. Plötzlich sagte er: „Da kommt Kai.“ Verwundert setzte ich mich auf. „Woher weißt du das?“ Aber Lou zuckte nur mit den Schultern.

Tatsächlich kam Kai keine Minute später den Weg zum Wasser hinunter.

„Hi.“ „Hallo, Kai.“ Lou drehte sich stumm zu ihm um und musterte ihn prüfend. Dann lächelte er ihm entgegen.

Kai hob grüßend die Hand in Lous Richtung und kam auf mich zu. „Rück mal ein Stück!“ forderte er. Ich machte ihm Platz und er ließ sich neben mich fallen. „Mann, was für ein Tag!“ „Was war denn los?“ Er seufzte. „Eigentlich nur der übliche Schulstress. Nichts besonderes, aber trotzdem echt ätzend. Und zu Hause ist auch mal wieder Sturmwarnung angesagt. Meine Mutter war wohl der Meinung, ich sollte lieber zur Nachhilfe als zum Schwimmen gehen.“ „Und?“ Kai zuckte grinsend mit den Schultern. „Naja, hier bin ich.“ Dann kam plötzlich Bewegung in ihn. „Kommt, lasst uns ins Wasser gehen! Ich brauch‘ jetzt endlich eine Abkühlung.“

Kai stand auf und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Dann wandte er sich an Lou, der noch immer auf das Wasser starrte. „Hast du keine Schwimmsachen mit?“

Lou drehte sich um und kam zu uns zurück. „Doch.“ „Sag nicht, dass du deine Badehose die ganze Zeit über untergezogen hattest.“ Ungläubig beobachtete ich ihn. Er antwortete nicht, aber ich wusste, dass ich Recht hatte. „Und dann rennt er mit einer langen Hose rum!“ Ich rang mir ein müdes Kopfschütteln ab. Langsam resignierte ich.

Ächzend stand auch ich auf und wartete darauf, dass Lou endlich umgezogen und fertig sein würde. Dabei wusste ich nicht so recht, wo ich hinsehen sollte. Es kam mir dämlich vor, ihn anzustarren, aber genauso dämlich fand ich es, in die Luft zu gucken. Doch Kai schien damit gar keine Probleme zu haben. Ruhig ließ er seinen Blick auf Lou ruhen. Etwas befangen versuchte ich, mir ein Beispiel an ihm zu nehmen.

Endlich stand Lou in Shorts vor uns und packte zuletzt noch seine Sachen in seinen Rucksack. Dabei drehte er uns den Rücken zu. Als er so mit nacktem Oberkörper da stand, sah man, dass er nicht oft ohne sein Hemd herumlief. Obwohl er braun war, viel brauner als ich, konnte man doch den farblichen Unterschied zwischen seinem Gesicht und seinem Oberkörper deutlich erkennen.

Lou schloss seinen Rucksack, erhob sich und drehte sich zu uns um. Als er wieder aufrecht vor mir stand, fiel mein Blick auf einen hellen, leicht schimmernden Streifen. Weiß glänzend zog er sich vom rechten Schlüsselbein vielleicht 15 Zentimeter quer über seine Brust hin. Er stach deutlich von der natürlichen Bräune der Haut ab.

„Was hast du da gemacht?“ Kai deutete auf die Narbe. Wie um zu verstehen, was er meinte, sah Lou an sich hinunter. Er fuhr mit der Hand hoch. Seine Finger hinterließen helle Spuren, als sie sich in die Haut krallten und über dieses Zeugnis einer alten Verletzung fuhren. Sie versuchten, das verräterische Mal zu vernichten, das seinen Träger noch sein ganzes Leben lang brandmarken würde.

Dann senkte Lou seine Hand wieder. Die hellen Spuren verfärbten sich und wurden feuerrot. Verwirrt beobachtete ich ihn. Wir warteten noch immer auf eine Antwort. Lou drehte sich um und ging ins Wasser. „Nichts.“

Verwundert wechselten Kai und ich einige Blicke. Schließlich zuckten wir nur mit den Schultern und folgten Lou.

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