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Sonntag, 05. August 2007

Kapitel I
Von dimitrikalaschnikov, 08:46

 

 

„Es ist egal, was du bist, Hauptsache ist, es macht dich glücklich. Es ist egal, was du isst, Hauptsache ist, es macht dich dicklich. Lass dir bloß keinen Scheiß andrehn: das Leben ist schön!“

Farin Urlaub

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Als ich am Montag das erste Mal wieder das Schulgebäude betreten sollte, hatte ich ein verdammt ungutes Gefühl. Wie weit wussten meine Freunde über meinen „Unfall“ Bescheid? Und über meine Trennung von Medea?

‚Gut, von ihr selber kann es ja niemand erfahren haben,’ beruhigte ich mich. Sie ging schon länger nicht mehr bei uns auf die Schule, und seit sie in die Nachbarstadt gezogen war, hatte sie auch keinen Kontakt mehr zu ihren ehemaligen Freunden. Außer natürlich zu mir. Aber damit war jetzt ja auch Schluss.

Früher hatte es mich immer gestört, dass Medea nicht mehr in Ludwin wohnte. Aber im Moment war mir das ganz recht. So musste ich nicht andauernd eine Begegnung mit ihr befürchten. Und ich konnte darauf hoffen, dass sie mit niemandem gesprochen hatte.

Ich atmete tief durch und öffnete mit Schwung die Tür, die in die Aula führte. Ich wollte gerade dynamisch und kraftvoll, mit großen Schritten, voller Selbstbewusstsein und vor allem auch mit einem Blick, der jedem sofort sagte, wer ich war (also eigentlich genau so, wie ich es immer tat) in das Gebäude schreiten, als ich mich plötzlich beinahe auf dem Boden wiederfand. Ich fluchte und wurde knallrot im Gesicht. Verdammt, jetzt hatte ich doch schon wieder meinen Gips vergessen! Peinlich, peinlich!

So schnell es ging sammelte ich mich wieder und sah mich hastig um. Glück gehabt! Keiner hatte mein kleines Missgeschick beobachtet.

Ich packte meine Krücken fester und humpelte los. ‚Das darf dir nicht noch einmal passieren, Dimitri!’ ermahnte ich mich selbst.

Ich merkte, dass mein Gesicht immer noch heiß und rot war, und blickte deshalb lieber zu Boden, während ich eilig durch die Aula humpelte.

Plötzlich schlug mit jemand von hinten auf die Schulter. „Hey, Mitja! Hast du’s so eilig? Alles klar?“ „Was?“ Erschrocken sah ich auf. „Ach, du bist es, Kai! Ja, alles klar, Alter! Und bei dir?“ „Tja, wie man es nimmt.“

Er ging langsam neben mir die Treppe hinauf. Mit meinen Krücken dauerte das zwar etwas länger, aber er wartete geduldig, bis ich eine Stufe nach der anderen gemeistert hatte.

Oben begleitete Kai mich über den Flur bis zu meinem Klassenraum, wobei er fortfuhr: „Der Förster hat wegen unsrem Mathetest ein totales Spektakel gemacht. Ich hab ne 6. Mann, meine Eltern hättest du hören sollen! ‚Und das nennt sich Privatschule! Eliteschule sogar! Und sie schaffen es nicht einmal, unserem Sohn die Grundregeln der Mathematik beizubringen! Bla, bla, bla!’“ äffte er, wurde dann aber plötzlich wieder ernst. „Schätze, das war’s dann wohl. Meine Eltern haben mich schon im Internat angemeldet, sagen sie. Und dieses Mal ist es ernst. Nicht wie sonst nur heiße Luft. Wir gehen gleich noch zum Direx. Dieses Halbjahr bleibe ich noch hier, dann bin ich weg. Die letzten 2 ½ Jahre sitze ich wahrscheinlich in irgend einem langweiligen Schuppen ab. Tja, so steht’s, Alter!“

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich war geschockt. „Komm, das schaffst du schon! Wär doch gelacht, wenn du nicht Schwung in diese Bude bringen könntest!“ Das war das einzige, was mir einfiel. Nicht gerade das Originellste, was in letzter Zeit aber häufiger vorkam.

Mittlerweile waren wir bei meinem Klassenraum angekommen. „Klasse 2 h. Mensch, das muss ein tolles Gefühl sein, in diesem Raum zu sitzen. Wenn ich mir überlege, dass ich jetzt eigentlich auch in der 2 sein müsste! 2 h hätte ich sowieso nie geschafft. Aber m bestimmt, wenn ich mich angestrengt hätte. Wow! Statt dessen bin ich jetzt in der 3 m. Super! Und auch das nicht mehr lange. Na, wir sehen uns nachher in der Pause, ja? Halt die Ohren steif!“ Und schon war er verschwunden. „Du auch, Kai.“

Ich hatte das dumme Gefühl, dass ihm die Sache mit dem Internat doch ziemlich schwer fiel. Und deshalb ging es auch mir mies. Mein Tag fing ja toll an. Gleich mit einer solchen Nachricht! Mein absolut bester Freund verließ die Schule. Was da wohl noch kommen würde?

Ich öffnete die Tür. Und zwar tat ich das vorsichtig, sehr vorsichtig. Man wusste bei unserer Klasse schließlich nie, was einen empfangen konnte, wenn ich mal nicht da war. Vielleicht ein rohes Ei, oder eine Schüssel Kreidestaub... irgendwas hirnloses, idiotisches.

Und richtig! Knapp vor meinen Füßen knallte eine prall gefüllte Wasserbombe auf den Boden und zerplatzte mit einem ekelhaften, schmatzenden Geräusch, wobei sie eine große Pfütze hinterließ und die Enden meiner Jeans bespritzte.

Ich seufzte. Diese Kindsköpfe! Die Falle mit der Wasserbombe auf dem Türrahmen war doch alt. Das war doch schon nicht mehr komisch sondern nur noch peinlich. Es wurde anscheinend Zeit, dass ich wieder das Ruder übernahm.

Eine solche Vorstellung war ja geradezu beschämend. Schließlich hatte ich in unserer ‚Gemeinde’, wie wir unsere Klasse nannten, sozusagen das Amt des Kriegsministers inne. Und die meisten ‚Opfer’ wussten das natürlich auch.

Wenn ich heute so zurückdenke, macht es mir Spaß, mich an meine vielen kleinen Streiche und Gemeinheiten zu erinnern, die ich ausgeheckt hatte. Es ist faszinierend, was ich mir damals alles ausgedacht habe. Gut, etwas albern war es schon, seine Lehrer als 19jähriger noch so zu triezen, wie ich es tat, aber wenigstens griff ich auf seriösere und ehrenhaftere Dinge zurück als Wasserbomben und Kreidestaub! Ich bevorzugte psychologische Kriegführung, nichts, wo jemand physisch zu Schaden kam. Ich war ein richtiger Mistkerl.

Jetzt, nachdem alle Gefahr vorüber war, betrat ich das Klassenzimmer und sah mich um. Sofort stürmten von allen Seiten meine Mitschüler auf mich zu. Alle redeten und schrieen aufgebracht auf mich ein, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort in diesem Tumult hätte verstehen können.

Abwehrend hob ich die Arme. Dabei brauchte ich nicht einmal Angst zu haben, dass mir vielleicht die Krücken runterfallen könnten. Meine Leute standen so dicht um mich herum, dass selbst ein Blatt Papier den Boden nicht hätte erreichen können. Und sie versuchten, immer noch näher zu kommen.

„Ruhe!“ Sofort waren sie still. „So, Leon, jetzt erzähl mal! Was ist denn passiert?“ Leon war so etwas wie mein Stellvertreter, und außerdem noch einer meiner Vertrauten und besten Freunde.

„Heute kommt ein Neuer! Und der Junker hat uns höchst persönlich zwei Stunden Nachsitzen und eine gesalzene Zusatzklausur in Englisch angedroht, falls die Dorle sich beschwert, weil wir irgendwas zu seiner ‚Begrüßung’ arrangieren!“

‚Begrüßung’. Es war schon beinahe eine Tradition bei uns, jeden, der neu in unsere Klasse kam, mit einer netten Aufmerksamkeit herzlich willkommen zu heißen. Julian zum Beispiel bekam, als er in der 7. Klasse seinen ersten Schultag bei uns hatte, die ganze Klasse in Shorts und T-Shirts zu sehen. Obwohl im Klassenraum kaum 10 Grad herrschten. Seine merkwürdige Reaktion auf unsere Versicherungen, das sei hier so Vorschrift, amüsierte uns noch Wochen später.

Die Begrüßung gehörte also zu einem Neuen, wie das Amen zur Kirche. Ich runzelte die Stirn. „So? Eine Englischklausur? Tja, das ist übel. Ich denke, da müssen wir uns fügen.“ Theatralisch hob ich die Arme und seufzte tief auf.

Die Folge meiner Worte war eine sekundenlange Fassungslosigkeit. Dann plötzlich ging ein so unheimliches Geschrei los, dass ich dachte, mir würde das Trommelfell platzen.

Lachend bahnte ich mir jetzt einen Weg durch die Menge und schob mich auf meinen Platz zu. Die anderen folgten mir aufgebracht durcheinanderredend. Am lautesten ertönte die tiefe Brummstimme von Max. „Mitja, bist du verrückt!?! Das kannst du nicht machen! Ein Neuer, ohne Begrüßung! Das ist doch wie – wie Weihnachten ohne Geschenke! Oder wie eine Party ohne Musik! Das geht doch nicht!“

Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und rief: „Leute, jetzt hört mir doch einmal zu! Wollt ihr etwa nachsitzen?“ Das war das gute an meiner Stimme. Es konnte noch so laut sein, man hörte mich immer.

Das war auch jetzt so. Sofort verstummten alle, selbst die lautesten, und sagten dann kleinlaut und bedrückt: „Nein.“ „Na also! Oder wollt ihr einen Englischtest?“ „Nein, aber....“ „Nichts aber! Wenn ihr das nicht wollt, dann müsst ihr auf mich hören! Lassen wir den Neuen heute in Ruhe! Wohl gemerkt, heute! Morgen ist schließlich auch noch ein Tag. Wir können ihn doch ‚begrüßen’, ohne dass es eine ‚Begrüßung’ ist. Und wie soll die Dorle sich beschweren, wenn sie in der Stunde gar keinen Unterricht bei uns hat? Morgen in der ersten wäre es der Andersen. Also gar keine Gefahr! Außerdem wissen wir dann auch, mit wem wir es zu tun haben! Verschieben wir es eben! Wen stört das schon? Ob heute oder morgen, das ist doch wohl egal! Für heute wäre es doch sowieso zu spät gewesen!“

Ein Raunen ging durch die Klasse. Überall sah ich frohe Gesichter. „Mitja, das ist eine super Idee! Echt toll!“

Insgeheim schüttelte ich den Kopf. Wie hatten solche Idioten es nur bis in die 2 schaffen können, und dann auch noch in die 2 h!?! Gut, sie waren allesamt halbwegs kluge Köpfe, aber über alles, was über den geforderten Unterrichtsstoff hinausging, mussten sie noch viel lernen.

Mit Stolz dachte ich daran, was sie wohl ohne mich machen würden. Ja, ich konnte wohl ohne zu übertreiben behaupten, dass ich der Kopf und der Initiator sämtlicher Organisationen und Veranstaltungen in dieser ansonsten völlig öden Klasse war. Nichts lief ohne mich.

Vielleicht war dieses Gefühl, gebraucht zu werden, auch der Grund für mein Verhalten zu Hause. Vielleicht wollte ich damals einfach auch einmal jemanden haben, der sich um mich kümmerte, mir jede Verantwortung abnahm und einfach für mich da war.

Denn, obwohl ich viel mit Leon und Max zusammen unternahm, wirkliche Freunde, so mit ‚durch Dick und Dünn’ und ‚gemeinsam Pferde stehlen’, waren sie nicht. Sie würden nicht zu mir halten, wenn es heißen würde: „Ich oder dein guter Ruf in der Klasse!“ Sie würden einen Rückzieher machen, wenn es darauf ankam.

Das wusste ich, und ich machte mir in dieser Beziehung auch gar keine Illusionen. Nur Kai würde immer zu mir stehen und für mich da sein. Ihn kannte ich auch schon seit 16 – nein, 17 Jahren, seit dem Kindergarten. Ich hoffte nur, das Internat würde an unserer Freundschaft nichts ändern. Hoffentlich war es nicht allzu weit weg...

Plötzlich erscholl ein kurzer Ruf, der mich aus meinen Gedanken riss. „Achtung, die Dorle!“ Sofort saßen alle auf ihren Plätzen und warteten, brav wie kleine Engel. Auf diesen Wachtposten an der Tür bestand ich schon seit der 11. Und er hatte sich wahrhaftig schon oft bezahlt gemacht!

Kaum hatte ich meine Sachen auf dem Tisch ausgebreitet, als Fräulein Dorle auch schon in die Klasse gerauscht kam. Sie stoppte erst an ihrem Pult. Es sah aus, als wäre sie ein Rennwagen, der mit voller Wucht gegen einen Baum rast.

Mühsam unterdrückte ich ein Lachen. Ich machte ein möglichst ernstes Gesicht und malte mir schon genau die nächste Szene aus. Jetzt würde sie sich gleich umdrehen, uns alle kritisch mustern und dann mit ihrer morgendlichen Strafpredigt loslegen.

Und ich hatte mal wieder Recht. Sie vollführte eine „elegante“ Kehrtwendung auf dem Absatz und rief, noch bevor sie mich überhaupt hatte sehen können: „Dimitri Kalaschnikov ist wieder da, habe ich Recht?“

Sie seufzte und drehte sich vollends um. Dann sah sie mich mit einem ergebenem Blick an. Sie streckte mal wieder die Waffen.

„Warum machen Sie das jedes Mal wieder, meine Herrschaften? Das ist doch albern!“ Sie machte einen so verzweifelten Gesichtsausdruck, dass alle laut lachen mussten. Nur ich blieb ernst. Es wäre gegen meine Würde gewesen, mich so undiszipliniert zu zeigen.

Also sagte ich in einem sehr gemessenem Ton: „Fräulein Dorle, ich verstehe gar nicht, was Sie meinen! Es ist doch alles ganz normal!“

Ich sah mich mit einer wahren Unschuldsmiene um, woraufhin die anderen noch mehr lachten. Ja, das konnte ich! Ich hatte ja auch lange genug dafür geübt.

Um zu verstehen, was hier vor sich ging, muss man wissen, dass meine zwei Tische in der Mitte des Raumes standen. Ich hatte diese zwei Tische aus vier ganz einfachen Gründen: erstens, damit ich meinen Mitschülern gegenüber etwas besonderes, ein Privileg, hatte; zweitens, weil ich zum koordinieren all unserer Vorhaben viel Platz brauchte; drittens, weil es mir Spaß machte und man die Lehrer damit in den Wahnsinn treiben konnte; und viertens, weil Kai früher an dem Tisch neben mir gesessen hatte und ich nicht bereit war, seinen Platz einfach zu vernichten, so als hätte es ihn hier in unserer Klasse nie gegeben.

Nun war es so, dass eigentlich, nach den Vorstellungen unserer Herren und Frauen Lehrer, die anderen Schüler mit ihren Tischen in Reihen vor, neben und hinter mir sitzen sollten. Doch dies war nie der Fall.

Jeden Morgen, wenn der erste Lehrer oder die erste Lehrerin die Klasse betrat, standen sämtliche Tische in einem Halbkreis um meine herum, so dass ich das Zentrum unserer Gemeinde bildete. Dadurch konnte mich jeder sehen und meine Zeichen verstehen. Antwortete ich nicht, so antworteten auch sie nicht. Ignorierte ich eine Anweisung, so taten sie es auch. So hatte es sich einmal eingebürgert, und so schien es auch bis ans Ende unserer Schultage bleiben zu wollen.

Doch das war ganz und gar gegen den Willen unserer sehr geschätzten Lehrmeister. Denn auf diese Weise waren sie praktisch jeder Intrige schutzlos ausgeliefert. Es war ein Kampf, der Ausdauer erforderte, und den keine der beiden Parteien aufgeben wollte.

Und so spielte sich jeden Morgen die gleiche Szene ab. Es war fast schon so etwas wie ein Ritual. Der Lehrer kam, stellte fest, dass alles so war wie immer, zeterte und schimpfte etwas, und zwang uns dann schließlich, die Tische zurückzustellen. Er hatte vordergründig gesiegt, doch sowohl er als auch wir wussten, dass es ihm nichts nützen würde. Am nächsten Morgen würde er wieder genau das gleiche vorfinden.

Und genauso machte es jetzt auch Fräulein Dorle. Da fühlte ich mich doch gleich wieder wie zu Hause.

 

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