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Montag, 06. August 2007

Kapitel III
Von dimitrikalaschnikov, 07:48

 

 

„Seltsam im Nebel zu wandern.

Leben ist Einsamsein.

Kein Mensch kennt den andern.

Jeder ist allein.“

Hermann Hesse

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Wir – das heißt, meine Klassenkameraden – waren gerade dabei, wieder halbwegs ordentliche und gleichmäßige Reihen zu bilden, als es höflich an die Tür klopfte. Die anderen ließen sich nicht stören. Nur ich sah zur Tür, weil ich ja doch nichts anderes zu tun hatte.

„Herein!“ rief Dorle. Die Tür schwang auf und hindurch trat ein vielleicht 21 Jahre alter Mann. ‚Schwul!’ schoss es mir sofort durch den Kopf.

Er war schätzungsweise 1 Meter 85 groß und als ich ihn sah, musste ich an eine Katze denken. Er wirkte zierlich und geschmeidig, wenn nicht sogar zerbrechlich und beinahe zart. Das Licht der Sonne, das den Raum durchflutete, spiegelte sich in seinen dunklen Augen. Sie schienen es zu reflektieren und dadurch zu blitzen.

Ich traute mir durchaus eine gewisse Menschenkenntnis zu und wusste vom ersten Augenblick an: Dieser Mann war geheimnisvoll. Seine Miene schien versteinert zu sein, so unbeweglich war sie. Nicht einmal ein leises Zucken konnte ich beobachten. Und seine Haltung war ebenso unbeweglich. Wie eine Statue stand er, zwei Schritte hinter der Tür, im Raum.

Seine Kleidung vollendete das Mysterium, das ihn zu umgeben schien. Sie verbarg ihn wie ein Tuch, das die Statue vor ihrer Enthüllung verdeckt.

Seine Hose war aus dünnem Stoff, keine der üblichen Jeans, und weit geschnitten. Sie und auch das ebenso weite, völlig unmoderne Hemd verstärkten zusätzlich meinen Eindruck von einem zierlichen Körperbau.

Der Mann hatte dunkle, etwas mehr als schulterlange Haare, die in seinem Nacken zu einem Zopf zusammen liefen. Seine braune Hautfarbe verriet, dass er nicht aus unserer Gegend stammte. Um seine Augen lag ein entschlossener, aber auch ein bisschen trauriger Zug und seine Miene zeugte von Selbstbewusstsein und Intelligenz.

Ich war sofort unheimlich beeindruckt von dieser Gestalt, aber gleichzeitig machte sie mir auf eine gewisse Art Angst. Sie wirkte unnahbar und das war mir unheimlich.

‚Mensch, der sieht ja aus, wie – wie einer aus ‚1001 Nacht’! Toll!’ fuhr es mir durch den Kopf. Doch sofort wies ich diese Gedanken zurück. So ein Schwachsinn! ‚Toll’. Ich war doch nicht schwul! Brr! Ich schüttelte mich, als wollte ich etwas ekliges vergessen.

Dann sah ich den Neuen, denn das war er jawohl, wieder genauer an. Er hatte die Hände gefaltet und seine weiten Ärmel fielen so, dass man sie nur schwer erkennen konnte. Doch ich sah an seinem Finger einen breiten Ring funkeln.

Also wirklich! Ich hatte es ja gleich gewusst. Schwule erkannte ich sofort. Immer. Kein Zweifel. Und das in unserer Klasse! Naja, eigentlich hatte ich nichts gegen Homosexualität. Nur, so direkt in der eigenen Schulgemeinde.... Etwas komisch. Wie sollte man sich da verhalten?

Fräulein Dorle schreckte mich aus meinen Gedanken auf. „Guten Morgen!“ Auch meine Kameraden hatten es mittlerweile endlich geschafft, ihre Tische zurückzustellen, und sahen den jungen Mann jetzt neugierig an.

„Sie sind sicherlich der neue Schüler. Herzlich willkommen! Mein Name ist Fräulein Dorle.“ Ich hatte noch nie verstanden, wieso sie so darauf bestand, ein „Fräulein“ zu sein. War das für sie vielleicht so etwas wie eine Auszeichnung? Na, meinetwegen. Andere schämten sich dafür.

„Und das hier ist die Klasse 2 h. Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, wenden Sie sich getrost an mich oder an Dimitri Kalaschnikov.“ Dabei deutete sie auf mich. Die anderen sahen mich an, waren gespannt, wie ich reagieren würde und erhofften sich irgendeinen Wink, der ihnen verriet, wie sie selbst sich verhalten sollten. Aber ich tat nichts.

Auch der Neue sah mich an. Ich grinste breit und nickte nur kurz und gnädig. Der Neue lächelte mir auf eine sehr merkwürdige Art zu und wandte sich dann an Fräulein Dorle, indem er ihren Gruß mit einem freundlichen Kopfnicken und einer leichten Verbeugung erwiderte. Die ersten Bewegungen, die er ausführte. Danach fiel er wieder in seine unbeweglich Haltung zurück.

Dorle fügte, nicht ohne eine gehörige Portion Ironie in jedes einzelne ihrer Worte zu legen, noch die Erklärung zu meiner Person bei: „Dimitri ist hier so etwas wie ein König. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Wenn sie also Fragen haben sollten...“

Der Neue sah mich noch einmal an, diesmal aber sehr erstaunt. Dann sagte er: „Ich bin sicher, unter diesen Umständen werden wir uns sehr gut verstehen.“

Ich runzelte die Stirn. Sollte das etwa eine Drohung sein? Wollte der Neue meine Position in Frage stellen? Das würde ich schon zu verhindern wissen!

Mit einiger Verzögerung stellte sich bei mir eine Befremdung ein. Doch woher stammte sie? Während ich den Fremden eindringlich anstarrte, versuchte ich angestrengt ihren Grund zu entdecken.

Und dann wusste ich es. Es war seine Sprechweise. Sie war anders als ich es je von einem Menschen gehört hatte. Seine Worte hatten geklungen, als würden sie gesungen werden. Nein, nicht wirklich gesungen, eher getragen von einer Melodie. Kein einschläfernder Rhythmus, der sich in seiner eintönigen Art immer wieder wiederholt und wie man ihn oft, besonders bei Nachrichtensprechern oder Lehrern, findet, sondern ein wellenförmiges Auf und Ab von Tönen und Betonungen, das einem Lied glich.

Fasziniert rief ich mir den Satz, den er gesagt hatte, ins Gedächtnis zurück und ließ ihn in meinem Kopf widerhallen. Ich hoffte plötzlich, er würde weiter sprechen. Es lag eine seltsame Harmonie in seiner Stimme, die es mir eiskalt den Rücken hinunter laufen ließ.

Irgendwie übte diese seltsame Ausdrucksweise des Neuen eine ungeheure Kraft auf mich aus. Sie pulsierte, glühte vor Wärme. Zeugte einerseits von Ruhe und Freundlichkeit, andererseits aber auch von Stärke. Die Kraft, die ihm körperlich zu fehlen schien, besaß er im Inneren. Merkwürdig faszinierend.

Ich wusste nicht, woran ich mit diesem Neuen war, und konnte ihn nirgendwo so richtig einordnen. Egal, wie lange ich ihn auch anstarrte.

Er drehte sich wieder von mir weg und Fräulein Dorle meinte: „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werden wir Ihr Anmeldeformular jetzt direkt ausfüllen. Haben Sie Probleme damit, das vor Ihren Klassenkameraden zu tun, oder ist das in Ordnung?“ Er nickte nur stumm „Gut, dann wollen wir mal! Wie heißen Sie?“

Er verbeugte sich erneut leicht, hielt dabei die Hände noch immer gefaltet und sagte, wieder in dieser seltsamen Art: „Ich bin Lou Tibeht, Sohn des Prinz Raben.“ „Lou Tibeht. Wie Tibet, mit ‚h’?“ Er zog verständnislos eine Augenbraue hoch, antwortete dann aber doch: „Mit ‚h’.“ „Gut. Und weiter?“ „Sohn des Prinz Raben.“

„Mensch, deinen Nachnamen will sie wissen!“ raunte ich ihm zu und runzelte die Stirn. Ich war mir nicht sicher, ob er nun nur merkwürdig war oder einfach zu dumm um die Frage zu verstehen.

Der Neue drehte sich erstaunt zu mir um. „Meinen Nachnamen? Den sagte ich doch bereits. Ich heiße Lou Tibeht, Sohn des Prinz Raben von Ljuba.“ „Also ‚von Ljuba’ ist Ihr Familienname?“

„Wenn Sie möchten, könnte man es so ausdrücken.“ Als er lächelte, atmete Fräulein Dorle erleichtert auf. Dieser Lou Tibeht war ja wirklich eine harte Nuss! Ich hatte da so eine Ahnung, dass es reichlich schwer werden würde, ihn zu knacken. Wie leicht es mir im Nachhinein dann doch werden sollte, ahnte ich damals noch nicht.

„Und woher kommen Sie?“ „Ich komme aus Ljuba.“ Dorle runzelte die Stirn und sah ihn skeptisch an. „Aus Ljuba? Sagten Sie denn nicht eben, dass Sie ‚von Ljuba’ mit Nachnamen heißen?“

Der Neue erwiderte ihren Blick mit einem Lächeln, das man nur als charmant bezeichnen konnte, und antwortete gelassen: „Das sagten Sie. Ich sagte, man könnte es so ausdrücken. Ich bin Lou Tibeht, der Sohn des Prinz Raben von Ljuba. Aber nennen Sie mich ruhig Lou.“

Sie stöhnte auf. Ich aber fand, dass die ganze Sache langsam richtig interessant wurde. Aufmerksam verfolgte ich den Rest des Gesprächs.

Der Neue begann jetzt, immer noch lächelnd, Fräulein Dorle den Sachverhalt zu erklären. „Mein Name ist Lou Tibeht. Mein Vater ist Raben, der Prinz von Ljuba. Dorther komme ich. Und deshalb ist der Name meines Vaters Prinz Raben von Ljuba und meiner Lou von Ljuba.“

Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie strahlte plötzlich. „Ah! Ich erinnere mich, dass Dr. Junker vor Wochen so etwas erwähnte! Aber er hätte sich auch ruhig etwas deutlicher ausdrücken können.“ „Das war unsererseits nicht erwünscht.“ „Ach. – Also kein eigener Familienname vorhanden?“ Er schüttelte verneinend den Kopf. „Gut.“

Das würde bestimmt noch eine irre Show geben mit diesem Neuen! Ein komischer Kerl. Ich gab meinen Freunden ein Zeichen, dass ich diesem Lou kein Wort glaubte. Der Sohn eines Prinzen. Öfter mal was Neues.

Doch während ich mich noch innerlich amüsierte, ging es schon weiter. „Würden Sie mir jetzt bitte Ihr Geburtsdatum nennen?“ „Ich wurde am Tag der 19. Eule im Jahre des Saphirs geboren.“ „Tag der 19. Eule?“ Er sah ihren beinahe verzweifelten Gesichtsausdruck und fügte hinzu: „Ja. Ich denke, bei Ihnen wird man diesen Tag den 19. Dezember 42 nennen.“

Was? Er war erst 19 Jahre alt, genau wie ich? Sogar noch etwas jünger, wenn man es genau nahm. Aber das sah man ihm nicht an. Und das ärgerte mich unheimlich. Voll Neid musste ich mir eingestehen, dass er viel erwachsener und reifer wirkte als alle anderen aus meiner Klasse. Einschließlich mir.

„Also am 19.12.42. Gut. Welcher Religion gehören Sie an? Dem Christentum?“ „Christentum? Nein, ich bin Materist.“

Materist? Was war denn das schon wieder? Anscheinend hatte auch Dorle noch nichts davon gehört. Jedenfalls sah sie von ihrem Formular auf und erkundigte sich: „Materist? Gibt es so etwas? Ich habe noch nie davon gehört!“

Der Neue hob erstaunt eine Augenbraue und wich einen Schritt zurück.

„Materismus ist die Hauptreligion in Ljuba. Wo ich herkomme, leben nur Materisten. Dort gibt es keine Christen oder Buddhisten oder Muslime.“ „Gut, gut! Ich fürchte allerdings, Religionsunterricht im Materismus wird bei uns nicht angeboten.“

Er lächelte noch immer, und langsam begann es mich zu irritieren. Es zog mich so sehr in seinen Bann, dass mir ganz schwindelig wurde. „Das macht nichts. Ich werde auch so auskommen.“ „Das freut mich. Gut. Dann setzen Sie sich am besten erst einmal dort neben Dimitri.“

Was? Neben mich? Auf einen meiner Plätze!?! Auf – Kais Platz!?! „Fräulein Dorle, ich protestiere aufs Heftigste! Dies sind meine Plätze!“ Dorle stöhnte laut. „Dimitri, jetzt haben Sie sich doch nicht so! Es ist doch ansonsten kein Platz mehr frei!“

Sie machte eine abwehrende Bewegung. Doch ich war nicht bereit, so leicht aufzugeben. Obwohl es mir eigentlich nichts ausmachte, den Neuen eine Stunde neben mir zu haben. Zum Kennenlernen. Und solange es wirklich nur eine Stunde war. Aber es ging ums Prinzip. Und vor allem darum, dass niemals jemand auf Kais Platz sitzen würde! Niemals! Denn das wäre Verrat. Und ich würde ihn nie verraten. Egal, was kommen würde.

„Dann hätte man eben einen neuen Tisch in die Klasse stellen müssen! Ich denke, es war der Schulleitung wohl bekannt, dass heute ein neuer Schüler in unsere Klassengemeinschaft tritt!“ „Ich werde sofort nach dieser Stunde mit dem Hausmeister sprechen. Nur für diese eine Stunde! Und jetzt geben Sie bitte Ruhe!“

Ich zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich muss mich wohl im Angesicht der rohen Gewalt fügen. Doch nur unter Protest! Und ich hoffe, dass Sie Wort halten werden!“

Ich packte meine Sachen zusammen und schob sie auf den rechten, auf Kais Tisch hinüber. Lou beobachtete mich währenddessen interessiert. Schließlich kam er zu mir und verbeugte sich wieder kurz, wobei er sagte: „Ich wollte keine Umstände machen.“ Schon wieder lächelte er. Dann ließ er sich äußerst behutsam auf dem Platz neben mir, an meinem Tisch, nieder.

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte halblaut: „Nichts gegen dich. Es geht nur ums Prinzip.“ Er wich etwas zurück und schob meine Hand weg. Dann sagte er ebenso leise: „Nicht anfassen!“ Und als er meinen irritierten Blick sah, fügte er noch hinzu: „Nichts gegen dich. Es geht nur ums Prinzip.“ Verwirrt und beleidigt wandte ich mich ab.

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