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Mittwoch, 15. August 2007

Kapitel VIII
Von dimitrikalaschnikov, 07:51

Draußen ist Freiheit, ein Glück, das keine Schranken kennt. Draußen ist Freiheit, weit fort von allem was uns trennt, beginnt, was man Leben nennt.“

Der Tanz der Vampire

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Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Ich hatte mit jeder Faser meines Herzens darauf gehofft und der Heilung entgegengefiebert, doch sie trat nicht ein. Die Zeit heilte nichts, sie verging einfach nur. Stunde um Stunde, Tag um Tag zog an mir vorbei.

Seit damals glaube ich nicht mehr, dass die Zeit die Schmerzen jemals vergehen lässt. Sie bringt uns nur dazu, uns an sie zu gewöhnen. Und genau das tat ich.

Alles war wie jedes Jahr. Kaum hatte man sich an die Schule gewöhnt, musste man auch schon wieder an die Ferien denken. Sie rückten immer näher und näher. Eigentlich ein sehr angenehmes Gefühl, das zu wissen, doch es drang nicht bis zu mir vor.

Mittlerweile war schon der 10. Juli gekommen, was hieß, dass wir nur noch knappe 1 ½ Monate Schule hatten. Es wurde also langsam Zeit zu überlegen, wo ich meinen Urlaub verbringen wollte.

Eins stand für mich fest: Mit meinen Eltern wollte ich nicht mehr verreisen. Ich brauchte Abstand. Ich konnte ihnen nicht mehr in die Augen sehen ohne daran denken zu müssen, dass ich sie ständig belog und ihnen etwas vorspielte. Ich war dabei, auch ihnen den Sohn zu nehmen.

Außerdem wollte ich unbedingt Lous Freiheit kennen lernen. Wahrscheinlich versprach ich mir davon auch etwas Freiheit. Ich fühlte mich so eingeengt, dass ich kaum noch Luft bekommen konnte. Und dadurch, dass ich ihn mir zum Vorbild nahm, versuchte ich, wieder etwas Normalität in mein Leben zu bringen. Ich musste irgendwie wieder ins Gleichgewicht kommen.

Wie auch immer, Lou wollte alleine leben, also wollte ich es auch. Unabhängigkeit hieß jetzt mein Motto. Auch wenn ich es nicht in jeder Situation auslebte und auf so manche Annehmlichkeit doch nicht verzichten wollte.

Dazu kam, dass ich die Ferien schlicht und einfach nicht ohne ihn verbringen wollte. Eigentlich war das sogar der Hauptgrund für meine Entscheidung. Nicht alleine sein, und nur nicht die Kontrolle verlieren.

Aber was sollte ich dann tun? Zu Hause bleiben? Nein! Dann wäre ich wohl wahnsinnig geworden. Ich brauchte unbedingt eine Luftveränderung.

Also beschloss ich, Lou einfach zu fragen, ob wir nicht zusammen wegfahren wollten. Und diesen Beschluss setzte ich auch gleich am nächsten Morgen in die Tat um.


Es war Freitag und wir hatten Mathematik in der ersten Stunde. Unterricht bei Herrn Andersen hatte früher immer einen etwas brenzligen Charakter gehabt. Es hatte immer Spannungen gegeben wegen der Eskapaden unserer Klasse. Aber das hatte dem ganzen etwas Pfiff verliehen. Es half, den Morgen zu überstehen ohne einzuschlafen.

Doch das war jetzt vorbei. Schon seit einiger Zeit konnte Herr Andersen in den Raum kommen und seinen Unterricht beginnen, ohne sich jedes Mal aufregen zu müssen. Alle Tische standen so da, wie sie sollten. Keiner tanzte mehr aus der Reihe.

Das lag daran, dass sich mein Verhältnis zu meinen Klassenkameraden merklich abgekühlt hatte. Aber merkwürdiger Weise störte mich das nicht im Geringsten.

Es passte ihnen einfach nicht in den Kram, dass ich mich verändert hatte. Und es passte ihnen noch weniger, dass Lou jetzt an erster Stelle stand. Denn das tat er. Also hatte ich mich von ihnen abgesondert und fand ihr Benehmen mittlerweile nur noch kindisch. Ihre einfallslosen Späße konnten mich nicht mehr beeindrucken. Ich konnte gar nicht verstehen, dass ich auch einmal wie sie gewesen war. Dabei war das gar nicht mal so lange her.

Nur zu Max und Leon hatte ich noch richtig Kontakt. Zwar war es nicht mehr so wie Früher, aber wir sprachen viel miteinander und unternahmen auch ab und zu etwas zusammen.

Durch Verrat in den eigenen Reihen war der Krieg, der über Jahre angedauert hatte, also schließlich zugunsten der Lehrer entschieden worden. Dass es einmal dazu hatte kommen müssen, war mir insgeheim klar gewesen. Nur hätte ich nie gedacht, dass gerade ich der Verräter sein würde.


Lou kam leider erst so spät, dass ich vor der Stunde nicht mehr mit ihm sprechen konnte. Und ich wusste, dass er mir während des Unterrichts nicht vernünftig oder sogar gar nicht antworten würde. Das hatte er noch nie getan. Also musste ich wohl oder übel auf die Pause warten.

Die Stunde verging so langsam wie nie. Endlose Beweise und einschläfernde Erläuterungen wechselten sich mit trockenen Formeln und langweiligen Rechnungen ab. Endlich, endlich war sie vorbei! Ich machte mir innerlich in einem tiefen Seufzer Luft. Zehn Minuten Pause. Endlich!

Hey, Lou!“ Er hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und gähnte genüsslich. „Hm?“ „Was machst du in den Ferien?“ „Ferien?“ „Ja, in den Ferien!“ „Nichts. Was sollte ich machen?“

Ich verdrehte die Augen. „Urlaub natürlich.“ „Urlaub?“ „Na, verreisen, wegfahren, Ferien machen. Urlaub eben!“ „Aha.“ „Jetzt sag nicht, dass du nicht weißt, was das ist! Das gibt’s doch nicht!“ „Natürlich weiß ich, was Urlaub ist.“ Gähn. „Und?“ Ungeduldig stieß ich ihn an und fing mir dafür einen kurzen aber umso strafenderen Blick ein. „Was, und?“ „Machst du Urlaub?“ „Urlaub?“ „Lou!“ Langsam wurde ich richtig wütend. Was sollte das?

Weiß nicht. Mal sehen. Vielleicht.“ Ich stöhnte. Wenn das so weiterging, würde diese Pause nicht ausreichen. Lou war heute anscheinend etwas merkwürdig drauf. Ich hasste es, wenn er so war. Warum sagte er mir nicht einfach, was er in den Ferien vorhatte? Das konnte doch wohl nicht so schwer sein, und mehr wollte ich ja auch gar nicht!

Lou, hör jetzt auf! Ich mein‘s ernst!“ Er grinste breit, aber ohne auch nur die Augen zu öffnen. Ich merkte, dass es ihm gerade einen höllischen Spaß bereitete, mich zu reizen. Was ihm ja auch perfekt gelang. Ich war geradezu allergisch auf diese Art der Konversation. Und das wusste er nur zu gut.

Ich bin doch schon im Urlaub. Jetzt, hier.“ „Wieso?“ „Na, ich bin verreist, hierher, um andere Länder und andere Menschen kennen zu lernen.“ „Ja. – Aber das ist doch egal! Ich will doch nur wissen, ob du in den Ferien schon was vorhast, oder nicht. Willst du wegfahren?“

Jetzt öffnete er ein Auge und blinzelte mich an. „Machst du gerne Urlaub?“ Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Ja. Natürlich. Wir fahren fast in jeden Ferien ein Mal zusammen weg.“

Das ist schade.“ „Was?“ Ich war verdutzt. „Dass ihr fast jede Ferien ein Mal zusammen wegfahrt.“ „Warum das denn?“ „Dann fahrt ihr diese Ferien wohl auch weg.“ Unsicher beobachtete ich ihn. „Und?“ „Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du schon was vorhast. Sonst hätten wir zusammen wegfahren können.“ „Aber – Idiot!“ Er grinste mich schief an und legte sich wieder zurück. Gegen meinen Willen musste ich lachen.

Da klingelte es. Die Pause war um. Und ich war ein bisschen sauer, weil ich dank Lous komischem Humor noch immer nicht vernünftig mit ihm hatte reden können. Aber gleichzeitig war ich auch unheimlich froh, dass er den gleichen Plan gehabt hatte wie ich. Wenn er das denn hatte...

Kaum zwei Minuten nachdem es geklingelt hatte, betrat unser allseits beliebter Direx Dr. Junker die Klasse. Er verkündete mit wahrer Trauermiene, dass Dr. Söldner leider mal wieder plötzlich erkrankt sei, und deshalb der Geschichtsunterricht entfallen würde. Was wir natürlich gar nicht so schrecklich fanden. Schließlich bescherte uns diese Tatsache gleich drei Freistunden und eine Woche ohne langweilige Daten.

Während alle anderen wie eine Horde Verrückter johlend über die Flure auf den Schulhof rannten, packten Lou und ich in aller Ruhe unsere Taschen und machten uns dann auf den Weg in die Innenstadt von Ludwin. Dort versorgten wir uns mit Süßigkeiten und Cola und legten uns im Park auf eine Wiese, mitten in die pralle Julisonne.

Bonbons lutschend und Schokolade essend nahm ich unser Gespräch wieder auf.

Wegen dem Urlaub...“ „Hm?“ „Du hast also noch nichts vor?“ „Nein. Du?“ „Nein. Ich wollte dich eben fragen, ob wir nicht vielleicht zusammen irgendwohin fahren wollen. Was du wohl bemerkt haben dürftest.“

Lachend stieß er mich gegen die Schulter. „Ach was. Hab‘ ich nicht. – Und an was hast du gedacht?“ „Ich weiß nicht. Schlag was vor!“ „Wie wäre es denn mit Ithaka? War lange nicht mehr da. Ithaka auf Naxos?“ „Ithaka? Kenn ich gar nicht.“ „Ithaka ist der Name einer abgelegenen Farm auf Naxos, die einem Freund von mir gehört. Er heißt Jan. Jan Jöran van Draag. Er züchtet da Pferde und Hunde.“

Und davon kann er leben?“ Zweifelnd sah ich Lou an. Er lachte. „Nein, natürlich nicht. Das ist nur sein Hobby. Soviel ich weiß, hat er auch noch nie ein Tier verkauft. Er sagt immer, die neuen Besitzer müssten ihn absolut zufrieden stellen. Und das hat noch nie einer geschafft.“

Und wovon lebt er?“ „Er ist Künstler. Er malt. Und ich würde sagen, er hat Erfolg damit. Und es macht ihm Spaß. Er ist sozusagen ‚Vollblutmaler’. Jan sagt immer, manchmal liege er die ganze Nacht draußen am Strand und schaue sich die Sterne an. Das inspiriert ihn.“ „Ist seine Farm denn nah am Meer?“ „Hm.“

Lou schwieg einen Moment, dann setzte er sich auf und begann zu erzählen. „Sie grenzt direkt daran. Sie ist riesig. Selbst eine kleine Bucht gehört noch mit dazu. Und ein großes Waldstück. Da laufen die Pferde tagsüber frei drin rum. Nachts kommen sie dann rein in die Ställe. Die Hengste jedenfalls. Es wäre einfach zu gefährlich, sie draußen zu lassen. Wegen Dieben, weißt du? Das sind echte Rassepferde. Maremmanos. Das ist ein Anblick, wenn die Pferde rein kommen!

Die Stuten dürfen auch draußen bleiben. Sie haben einen zusätzlichen Offenstall am Rand des Waldes. Das hat zwar Nachteile, weil man täglich ein paar Mal das ganze Gebiet durchkämmen muss um zu gucken, ob auch alles in Ordnung ist, aber den Tieren gibt es mehr Freiheit.

Von den Stuten kann in den Stall, wer will. Nur die Trächtigen holt Jan rein. Die anderen nicht. Aber obwohl sie nicht müssen, kommen abends meist ziemlich viele zurück auf den Hof. Jeden Abend, gegen acht Uhr, geht Jan mit seinen Leuten auf den Hof. Da stehen sie dann schon alle zusammen und warten darauf, dass sie in ihre Boxen gebracht werden. Sie werden noch gefüttert und danach ziehen ein paar Männer los, um die Hengste von den Koppeln zu holen. Die dürfen natürlich nicht mit den Stuten zusammen sein. Aber das solltest du sehen, wenn sie mit hocherhobenen Schweifen wie die Könige den Weg hinab und über den Hof tänzeln! Sie wittern die Stuten und werden unruhig. Deshalb kommen sie auch in einen separaten Stall.

Trotzdem, am besten ist es immer noch, wenn die Stuten auf den Hof zurück kommen. Wenn es viertel vor acht ist und du auf den Hof siehst, ist er völlig leer. Bis auf ein paar Hunde vielleicht. Du denkst dir: ‚Gut, die Pferde sind noch nicht da, dann kann ich mich auch noch fünf Minuten draußen in die Sonne setzen.’ Und gerade, wenn du die Tür öffnen willst, hörst du ein Brausen und Klappern. Du guckst vorsichtig raus, und plötzlich ist der ganze Hof voller Pferde. Bis zu fünfzig Stuten.

Manchmal, wenn ein Gewitter in der Luft liegt – Pferde wittern das ja früher als wir es merken – machst du die Tür auf, kommst aber nicht raus, weil da ein großes behaartes – Ding steht.

Mit den Hengsten ist es zwar anders – sie sind tagsüber auf Koppeln von Nachbargrundstücken untergebracht – aber die Stuten können sich auf dem ganzen Gelände frei bewegen. Und wenn dann ein Unwetter kommt, laufen sie schon mal zum Stall zurück und warten, dass man sie in ihre trockenen Boxen lässt. Es ist wirklich toll bei Jan. Einfach toll!“

Er seufzte und ließ sich wieder zurück fallen. Dann schloss er die Augen und schwieg. Ich war etwas erstaunt. So verworren hatte Lou noch nie gesprochen. Er schien richtig begeistert zu sein. Entweder diese Farm, dieses Ithaka musste wirklich etwas besonderes und sehr schönes sein, oder – ja, oder was? Sie schien ihm etwas zu bedeuten. Freiheit?

Ich griff nach meiner Cola, stieß ihn an und hielt ihm, als er die Augen öffnete, seine vor das Gesicht. „Na dann, auf unsere Ferien auf Naxos. Bei Jan!“ Wir stießen an, und die Sache war abgemacht.


Mittags, als ich wieder nach Hause kam, ging ich zu meiner Mutter in die Küche. Sie stand gerade am Herd und bereitete das Essen vor.

Vorsichtig eröffnete ich ihr, dass ich dieses Jahr mit Lou verreisen wollte. „Schön! Dann fahren wir zu viert!“ meinte sie daraufhin. Sie hatte es verstanden, aber sie wollte es nicht verstehen. Das wusste ich, und ich hatte Angst davor, wie es weitergehen sollte.

Nein, Mom, ich möchte mit Lou alleine fahren,“ sagte ich, und es tat mir weh. Dieses ganze Gespräch fiel mir schwer. Es quälte mich.

Ach so.“ Sie drehte sich weg, senkte den Kopf und begann geschäftig in ihrer Suppe herum zu rühren. „Mom, das – das ist nicht böse gemeint! Aber, guck mal, ich bin jetzt schon fast 20. Ich bin kein kleines Kind mehr.“

Sie wischte sich verstohlen über die Augen. „Mom, ich – jetzt sag doch auch mal was! Bitte, Mom!“ Sie sah mich an und zu meinem Schrecken weinte sie. Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie jemals so weinen gesehen zu haben.

Mitja, du bist so – so anders geworden. So schrecklich – ich weiß auch nicht. Weißt du, vor einem Monat, als Kai noch lebte, warst du noch mein fröhlicher, kleiner Junge! Was ist passiert? Ist es noch wegen Kai?“

Ihre Worte versetzten mir einen tiefen Stich. Kai. Mom wusste es nicht. Sie kannte das Geheimnis dieses fremden Jungen nicht. Und meines auch nicht.

Kai. Die Gedanken an ihn drängten sich wieder in mein Hirn. Mit aller Macht verbannte ich sie.

Mom, ich möchte nicht darüber reden, okay?“ „Oh, Mitja, es ist wegen ihm, nicht wahr? Natürlich ist es das.“ „Mom, bitte! Ich will nicht! Mir – mir geht es gut!“ Damit belog ich sie, genau wie ich auch mich selbst und alle anderen belog.

Wirklich? Geht es dir wirklich gut?“ „Ja, Mom.“ Plötzlich war sie sehr gefasst. „Das ist schön. Und du möchtest wirklich nicht mit uns in den Urlaub fahren?“ „Nein, Mom. Sei bitte nicht böse.“ „Oh Mitja, du hast dich so verändert! Früher hättest du mich nie so gebeten, dir nicht böse zu sein. Nein, mein Junge, ich bin dir nicht böse. Wie könnte ich! Ich möchte doch nur, dass du glücklich bist. Aber sag mir doch, ob wir etwas falsch gemacht haben. Irgend etwas. Bist du unglücklich?“

Ich sah sie einen Moment lang stumm an und nahm sie dann, nach langer Zeit das erste Mal wieder, ganz fest in die Arme. Das war typisch für sie. Ich hätte es wissen müssen, dass sie sich Vorwürfe machte.

Nein, Mom. Es liegt nicht an dir. Ich bin – glücklich. Wirklich!“ Und während ich das sagte, liefen mir Tränen die Wangen hinab.


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